Uwe Bjorck/ April 15, 2021/ Blog

Die schräge Logik der Neoliberalen.

Die Arbeitsmärkte müssen ebenso wie alle anderen Märkte frei sein, sagen die Wirtschaftsliberalen. Wenn sich der Staat einmischt und diktiert, was die Markteilnehmer dürfen und was nicht, können die Ressourcen nicht optimal fließen. Die Neoliberalen sprechen also von Marktteilnehmern und Ressourcen. Wenn die Ressourcen auf dem Arbeitsmarkt aber die Arbeitnehmer:innen sind, können sie nicht zugleich freie Marktteilnehmer sein. Sie sind ein Bestand. Ein Bestand, der je nach Bedarf eingesetzt werden kann. Für einen Bestand gibt es keine Vertragsfreiheit. Und doch sprechen die Neoliberalen von einer Wahlfreiheit bei der Arbeitsplatzsuche. Schon deswegen können sich die Wirtschaftsliberalen nicht mit der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens anfreunden. Denn durch die Sicherheit, die ein bedingungsloses Grundeinkommen allen Menschen gibt, werden sie vom Bestand zu Akteuren.

Wir haben die Finger im Spiel
Jeder Markt hat Regeln und Grenzen, die die Wahlfreiheit einschränken. Frei erscheinen uns die Märkte nur, weil wir die Beschränkungen so vorbehaltlos akzeptieren, dass sie uns gar nicht mehr auffallen. Es lässt sich ohnehin nicht objektiv definieren, was frei bedeutet und wie frei ein Markt ist. Und doch sind es politische Definitionen, die nicht zuletzt einer geltenden Moral folgen.
Wenn also die neoliberalen Verfechter der freien Marktwirtschaft behaupten, dass sie den Markt gegen eine politisch motivierte Beeinflussung durch den Staat verteidigen, dann ist diese Behauptung nicht nur falsch, sondern wäre auch unmoralisch.
Wer sich von dem Mythos verabschiedet, dass es so etwas wie einen freien Arbeitsmarkt gibt, ist auf dem besten Weg, die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens mit seinem Ideal des freien und emanzipierten Menschen zu verstehen. Der Staat hat immer seine Finger im Spiel. Und der Staat ist nicht irgendeine Regierung, er ist nicht die Volkswirtschaft und besteht auch nicht aus Märkten. Der Staat sind wir Bürgerinnen und Bürger, die in ihm leben oder von dessen Gefüge wir beeinflusst werden bzw. es selbst beeinflussen. Wir sind keine Ressource, sondern Souverän. Wir haben immer die Finger im Spiel und tragen die Verantwortung, dass sie uns nicht gebrochen werden. Um diese Verantwortung übernehmen zu können, brauchen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen!

Soll die Arbeit frei sein?
Im Jahr 1819 wurde im britischen Parlament ein neues Gesetz zur Regulierung der Kinderarbeit eingebracht, der „Cotton Factories Regulation Act“. Nach heutigen Maßstäben war der Gesetzentwurf äußerst bescheiden. Es sollte lediglich die Beschäftigung kleiner Kinder unter neun Jahren verboten werden. Für Kinder zwischen zehn und sechzehn Jahren sollte nur die Arbeitszeit auf 12 Stunden täglich beschränkt werden. Diese neuen Regelungen galten einzig und allein der Arbeit in den Textilfabriken, die besonders gesundheitsschädlich war.
Dieser Gesetzesentwurf löste riesige landesweite Kontroversen aus. Die Gegner betrachteten diesen Entwurf als massiven Angriff auf die Vertragsfreiheit und als Zersetzung der Ideale von Freiheit und Selbstbestimmung. Warum sollte man Kindern verbieten, sich für ihr eigenes Überleben und das ihrer Familien einzusetzen?
Aber wir brauchen gar nicht so weit in der Zeit zurückgehen. Wir empfinden heute solche Einschränkungen des Marktes als völlig selbstverständlich, die jedoch bei deren Einführung als gravierende Einschnitte in den freien Markt und die Freiheit insgesamt regelrecht von den Wirtschaftsliberalen beschossen wurden.
So lehnten sich viele gegen die Emissionsbestimmungen für Kraftfahrzeuge und Industrie auf. Angeblich würden auch diese Gesetze die Wahlfreiheit beschränken. Haben wir denn wirklich eine Wahlfreiheit ohne ein bedingungsloses Grundeinkommen? Wer sich aus finanziellen Problemen kein neues umweltschonendes Fahrzeug leisten kann, ist nicht frei in seiner Entscheidung. Wer um seinen Arbeitsplatz bangt, weil sein Arbeitgeber neue umweltschonende Technologien einsetzen will, ist nicht frei in seiner Wahl des Arbeitsplatzes, sondern lebt in Angst vor der Zukunft.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt jeder Arbeitnehmerin und jedem Arbeitnehmer die Möglichkeit, Nein zu sagen. Nein zu schlechten Arbeitsbedingungen, nein zu Arbeiten, die der Umwelt schaden und nein zur schlechten Bezahlung. Aber das Ja zur positiven Entwicklung bedeutet mehr Freiheit, mehr Kreativität und mehr Sinn. Diese Freiheit ist jedoch eine, die den Wirtschaftsliberalen ein Dorn im Auge ist. So gut sie für die Welt, die Menschen und die Umwelt ist, so gefährlich kann sie für den eigenen Profit des rückwärts denkenden und egoistischen Wirtschaftsliberalen sein.

Die Freiheit des Fuchses im Hühnerstall.
Als Kind sah auch ich gerne diese Kung-Fu Filme. Ich fand es toll, wenn die Kämpfer plötzlich wie schwerelos durch die Luft flogen, um dann ihre Gegner mit einem absolut exakten Fußtritt ins Aus zu kicken. Es war so lange faszinierend, bis ich erfuhr, dass diese Akrobaten alle an Klaviersaiten hingen. So ähnlich verhält es sich auch mit dem freien Markt. Viele Marktregulierungen empfinden wir alle als so normal, dass sie uns gar nicht mehr auffallen. Wir halten es für richtig, dass nicht frei mit harten Drogen gehandelt wird. Es ist für uns selbstverständlich, dass es bei uns keinen Organhandel gibt und der Menschenhandel zumindest kein öffentliches Geschäft ist.

Alles das sind Regulierungen des freien Marktes, die für uns selbstverständlich sind. Dennoch sind diese Regulierungen nicht alt und gelten nicht in allen Ländern der Welt.
Auch Studienplätze werden nicht offiziell verkauft und sehr viele Dinge, wie zum Beispiel Medikamente, müssen erst zugelassen werden, bevor sie auf dem freien Markt erhältlich sind.
Ebenso sollen auch Wählerstimmen und Regierungsposten nicht käuflich zu erwerben sein.
Ein kurzer Blick in die Veröffentlichungen von Lobby-Control oder dem von der EU finanzierten Netzwerk Statewatch (ein Zusammenschluss investigativer Journalisten) belehren uns eines Besseren. Regierungsposten, Beratertätigkeiten und hohe Verwaltungsämter sind eine Ware der Wirtschaftsliberalen. Die meisten Politiker:innen, hohe Angestellte und Berater:innen wehren sich zwar gegen eine Käuflichkeit, die Sicht der Wirtschaftsliberalen auf diese Ämter und Posten ist jedoch eine andere. Alles ist für sie so frei, wie der Preis, der für sie zu zahlen ist. In ihrer Welt ist die Käuflichkeit ein wesentlicher menschlicher Charakterzug. Da schließen sie ganz von sich auf andere. Ihre Freiheit ist die des Fuchses im Hühnerstall.
Aber wie ist es mit den Wählerstimmen? Sind diese wirklich nicht käuflich?

Der Zuhälter vor dem Wahllokal.
Ich habe zwar noch nie erlebt, dass mir vor der Tür eines Wahllokals jemand Geld anbietet, damit ich seiner Partei meine Stimme gebe, aber trotzdem geht es immer ums Geld. Das haben die Wirtschaftsliberalen immerhin längst erreicht. Der Gedanke um das Geld ist inzwischen so dominierend, dass sogar die größten Gegner des Kapitalismus überwiegend mit Geld argumentieren. Bei den einen ist der Wohlstand das Hauptargument, bei den anderen die Armut. Um Geld geht es immer. Der Kampf zwischen Arm und Reich ist so tief in die Politik eingedrungen, dass er nur noch von dem Streit zwischen Freiheit und Unterdrückung ablenkt. Der Kampf Arm gegen Reich ist die effektivste Nebelkerze, die von den Wirtschaftsliberalen in jüngster Zeit gezündet wurde. Mit Marx hat dieser Kampf nichts mehr zu tun. Denn trotz jeder Lohnerhöhung wird der Kampf zwischen Freiheit und Unterdrückung nicht gelöst. Dieser Streit geht viel tiefer. Es ist kein Streit irgendwelcher Klassen, denn der vergisst das Individuum. Klassenkampfparolen gießen heute nur noch Öl in das Feuer der Wirtschaftsliberalen.

Selbstverständlich ist es absolut verwerflich, dass es in einem so immens reichen Land wie Deutschland Armut gibt. Die wirtschaftsliberale Handelsware ist dabei die Angst vor der Armut. Sehr viele Menschen lassen sich wegen dieser Angst dazu verleiten, genau die Partei zu wählen, die ihnen etwas mehr Verdienst oder Steuererleichterung bietet. So werden Wählerstimmen gekauft. Und jede einzelne der im Parlament vertretenen Parteien ist Akteur auf diesem Markt der billigen Jakobs. Da ist eine Freiheit der Wahl kaum noch zu erkennen. Die Stimme wird nicht nur käuflich, sondern billig. Die Selbstbestimmung endet freiwillig beim Blick ins eigene Portemonnaie.

Nur ein bedingungsloses Grundeinkommen kann uns aus diesem Dilemma befreien
Und hier ist auch einer der Gründe zu erkennen, warum dieses Grundeinkommen bedingungslos sein muss. Erst dann, wenn wir möglichst alle frei davon sind, unsere Wahlentscheidungen nicht vom Geld abhängig zu machen, sondern auch andere Faktoren in den Vordergrund treten lassen, wie Klimaschutz, Artenschutz, Gleichbehandlung und Krisenschutz, können wir von einer freien und selbstbestimmten Wahl sprechen. Wir brauchen eine möglichst angstfreie Gesellschaft für die Freiheit unserer Entscheidungen. Wir brauchen weder Angstmacher als Vertreter des Reichtums, noch Angstmacher als Vertreter der Armen. Wir brauchen Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung. Der erste und wichtigste Schritt dahin ist das bedingungslose Grundeinkommen.
Wir haben die Chance, es zu wählen!

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